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Last Minute Preview

03.11.2009

Vier Tage lang habe ich die fertige Version von Dragon Age: Origins testen dürfen. Das ist nicht viel für ein Spiel dieses Ausmaßes, nur dreizehn Prozent des Spiels habe ich laut Logbuch in den elf Stunden gesehen. Genug für eine Einschätzung.

Mit einer Stadtelfin beginne ich meine Abenteurerkarriere im sogenannten Fremdenviertel. Das Fremdenviertel besteht nur aus ein paar Straßenzügen, dafür gibt es in jeder Ecke was zu Entdecken. Die Gespräche sind alle sehr unterhaltsam, und gut choreographiert, die Grenze zwischen Cutscene und Dialog verwischt häufig. In der Beziehung steht Dragon Age Mass Effect in nichts nach, nur der stumme Hauptcharakter, der nur selten eine Mine verzieht, trübt die Film-zum-mitspielen Atmosphäre. Viele Charaktere sind etwas überzeichnet, man trifft beispielsweise Wegelagerer, die sich für schlauer halten, als sie sind, tumbe Zwergensöhne und einen naiv-netten Jungkönig, und dem entsprechend fallen die Dialoge aus. Man kann sich nicht durch Ferelden kalauern, wie seinerzeit in Baldur's Gate durch die Schwertküste, aber Dragon Age nimmt sich auch nicht so Bierernst wie Mass Effect es tut.

Aber zurück ins Fremdenviertel. Wer sich die Zeit nimmt, mit allen gesprächsfreudigen NPCs im Fremdenviertel zu plauschen und die zwei oder drei kleinen Quests erledigt, ist damit eine knappe Stunde beschäftigt, und weiss anschliessend, wie es ist, ein Stadtelf zu sein. Zumindest in der Stadtelfen-Origin hat Bioware ihr Ziel erreicht: Das Elend, die Gängelung durch die Menschen, aber auch die Unbeschwertheit in den einfachen Verhältnissen werden unter bester Unterhaltung näher gebracht. Das Zusammenspiel von Dialogen, Grafik und Soundtrack bringt auch in den anderen Gebieten die Atmosphäre gut auf den Punkt: Die Aufbruchstimmumg am Vorabend einer großen Schlacht, die staubigen Büchereien der Magier; das alles kommt sehr stimmungsvoll rüber.

Die Origin Story ist damit nicht zuende, es folgen blutige Kämpfe in einem Schloss der Menschen. Wie schon in anderen Berichten zu lesen war, ist der Schwierigkeitsgrad höher als man es von der Konkurenz gewohnt ist. Wer taktische Feinheiten nur bei Bossgegnern anwenden will, muss auf "einfach" spielen, wer "normal" nimmt, muss auch bei Standartgegnern öfters selbst eingreifen, auf "schwer" sind kleine Fehler bereits tödlich und "Albtraum" ist wirklich nur für Profis mit viel Zeit. Die Gegner-KI ist angemessen, nutzt Spezialfähigkeiten, und greift auch mal gezielt Magier an, anstatt auf den nächstbesten Tank einzuschlagen.

Das Gameplay in den Kämpfen ist dem in Baldur's Gate sehr ähnlich, aber dank Schnellzugrifsleiste viel komfortabler. Ist der Gegner bereits anvisiert, reicht ein Klick auf einen direkten Angriffszauber der Zauber wird ausgelöst. Ausser Zauber und Talente gibt es auch noch von Giften über Sprengfeuern bis zu Fallen und sogar Ködern eine ganze Palette von Hilfsmitteln, die taktisch eingesetzt werden wollen. In Sachen Fähigkeiten und Hilfsmittel steht Dragon Age dem Bruder und Vorbild in nichts nach. Wo aber Baldur's Gate die Nase klar vorne hat ist die Abwechslung in der Gegnervielfalt. Selten trifft man in Ferelden eine individuelle Feindtruppe. Im Menschenschloss warteten in den meisten Räumen immer die gleichen Dreiergruppen von Wachleuten, und wenn in einem Dungeon der erste Gegner eine Riesenspinne ist, sind mit großer Wahrscheinlichkeit alle weiteren Gegner ebenfalls Riesenspinnen. Mit den Items ist es das gleiche Problem: Es gibt wenige einzigartige Gegenstände und umso mehr zufällig generiertes Zeug. Aber wenigstens verkommt so der Charakter nicht so schnell zu einer bloßen Tragevorrichtung für magische Gegenstände.

Die Quests sind so, wie man es von Bioware kennt: In erster Linie schön erzählt. Aber auch in Dragon Age bleiben einen einfache "Töte dies, hole das"-Quests nicht erspart. Der Questgeber solcher Aufgaben ist meistens das "Chanter's Board", ein Anschlagsbrett wie aus the Witcher bekannt. Aber wer nicht will, kann diese Quests auch links liegen lassen. Überhaupt wird Freiheit sehr groß geschrieben. Man hat nie das Gefühl, in irgendeine Richtung gedrängt zu werden. Wer zum Beispiel einem Dorf gegen seine nächtlichen Untotenplage nicht unterstützen will, muss das auch nicht tun. Nur muss er sich dann nicht wundern, wenn beim nächsten Besuch plötzlich die meisten Dorfbewohner nicht mehr da sind. Der Handlungsstrang, der dieses Dorf involviert, geht trotzdem weiter, die Ereignisse berücksichtigend. Auch die Gesprächspartner scheinen stärker auf die Worte des Spielercharaters zu reagiern als bei früheren Bioware-Spielen, anstatt bei jeder Wahlmöglichkeit immer nur die gleiche Standartantwort aufzusagen.

Die Hintergrundgeschichte erinnert ein wenig an Gothic 2: Die Menschen (bzw. Menschen, Elfen und Zwerge) werden akut vom Bösen bedroht, aber erstere ziehen es vor, sich lieber gegenseitig den Schädel einzuschlagen. Wie sie sich nach den ersten neun Stunden weiterentwickelt, kann ich nicht sagen, aber es scheint das übliche Sammelsurium altbekannter Fantasymotive zu sein. Überraschungen gibt es natürlich, aber nur im genreüblichen Rahmen. Aber philosophische Abhandlungen oder stilistische Ausflüge in den französischen Kunstfilm hat ja auch niemand erwartet.

Zur Grafik gibt es eigentlich nicht mehr viele Geheimnisse: Gesichter und Mimik gehören zum besten, was das Genre zu bieten hat, die Umgebungstexturen dagegen werden oft von fünf Jahren alten Shootern übertroffen. Die Gestaltung der Levels bemüht sich um eindrucksvolle Bilder, aber aus Open-World-Spielen wie Risen ist man jedenfalls schönere Postkartenmotive gewohnt. Innerhalb von Gebäuden kann Dragon Age auch selten seine Baukastenherkunft verleugnen. Die rechteckigen Räume sehen alle gleich aus, nur die - zugegeben liebevoll gestalteten - Ambientobjekte lassen den Speisesaal von den Dienerquartieren unterscheiden.

Gar nichts zu nörgeln gibt es dagegen beim Soundtrack: Die Hintergrundmusik trifft immer den richtigen Ton und wichtige Ereignisse werden mit entsprechenden Bombast unterlegt. Über die deutschen Sprecher kann ich nichts sagen, da die Testversion nur die Englische Synchronisation beinhaltet. Die ist aber sehr gut gelungen.

Da es heutzutage keine Selbstverständlichkeit mehr ist sei erwähnt: Bugs habe ich (ausser zwei nicht erwähnenswerten Animationsfehlern) keine gesehen; Zu Abstürzen kam es mit meinem Windows Vista System auch nicht.

Fazit:
Dragon Age ist ein riesiges Spiel, und eine genaue Einschätzung fällt schwer, wenn man erst ein Bruchteil davon gesehen hat. Was ich trotzdem bereits versprechen kann: Dragon Age ist groß, und dass nicht nur vom Umfang her. Sowohl von der Qualität als auch von der Quantität scheint sich Dragon Age weit über den Durchschnitt zu bewegen. Die Gretchenfrage lautet: Wie schlägt sich das Spiel im Vergleich zum spirituellem Vorgänger Baldur's Gate? Ein paar Dinge hat Baldur's Gate besser gemacht, aber viele Dinge macht auch Dragon Age besser als Baldur's Gate. Am einfachsten ist Dragon Age als eine Mischung aus Baldur's Gate und Mass Effect zu beschreiben: Die Inszenierung von Mass Effect und das Gameplay von Baldur's Gate.

geschrieben von Sané